Die 1,4-Billionen-Dollar-Wette

Läuft bei OpenAI gerade das größte Kreisgeschäft der Techgeschichte?

Nvidia investiert 100 Milliarden Dollar in OpenAI. Einen Tag später bestellt OpenAI für exakt 100 Milliarden Dollar Nvidia-Chips. Microsoft steckt 13 Milliarden in OpenAI, die sich im Gegenzug verpflichten, 250 Milliarden bei Microsofts Cloud-Dienst Azure auszugeben. Oracle baut für 300 Milliarden Rechenzentren – für einen einzigen Kunden.

Ich habe mir die Verflechtungen im KI-Ökosystem der letzten Monate angesehen, und was ich gefunden habe, erinnert mich stark an 2007, als Banken sich gegenseitig ihre toxischen Kredite verkauften. Nur dass es diesmal um deutlich größere Summen geht.

Das erwartet dich:

  • Wie ein Dollar fünfmal als "Wachstum" gezählt wird, obwohl er nur einmal fließt

  • Warum zwei Drittel von Oracles Zukunft an einem einzigen Kunden hängen

  • Welche drei Warnsignale du in den nächsten Monaten beobachten solltest

  • Was das für dein Tech-Portfolio konkret bedeutet

Der Deal, bei dem alle gewinnen – bis keiner mehr gewinnt

Stell dir vor, du gibst deinem Nachbarn 1.000 Euro als Darlehen, und der verpflichtet sich, bei dir für 5.000 Euro einzukaufen. Du buchst die 5.000 Euro als Umsatz, die 1.000 Euro als Investment, und deine Nachbarschaftsimmobilie steigt um 10.000 Euro im Wert, weil jetzt ein "erfolgreicher Geschäftspartner" dort wohnt. Auf dem Papier hast du 16.000 Euro Wertzuwachs – obwohl nur 1.000 Euro tatsächlich geflossen sind.

Genau so funktioniert ein großer Teil der aktuellen KI-Finanzierung.

Microsoft ist hier das Paradebeispiel. Die 13 Milliarden Dollar Investment in OpenAI verwandeln sich auf mehreren Ebenen in bilanziellen Wert: OpenAI verpflichtet sich, 250 Milliarden Dollar bei Azure auszugeben – das wird als zukünftiger Umsatz gebucht. Die OpenAI-Beteiligung selbst wird mit 135 Milliarden Dollar bewertet – ein Buchgewinn. Zusammengerechnet entstehen 398 Milliarden Dollar Wert aus 13 Milliarden Dollar Kapitalfluss.

Das Geld fließt im Kreis, aber jede Station zählt es als Wachstum.

Nvidia spielt Automobilbank – nur mit Chips statt Autos

Bei Nvidia wird es noch interessanter. Das Unternehmen investiert bis zu 100 Milliarden Dollar in OpenAI, damit OpenAI genau diese Summe für Nvidia-Chips ausgeben kann. In der Automobilindustrie nennt man so etwas Absatzfinanzierung – der Hersteller gibt dir einen Kredit, damit du bei ihm kaufen kannst.

Der Unterschied: Wenn bei VW die Absatzfinanzierung hochfährt, wissen Anleger, dass die Nachfrage schwächelt. Bei Nvidia wird dasselbe Muster als "strategische Partnerschaft" und "starke Nachfrage" verkauft.

Ich habe mir die Earnings Calls der letzten Quartale angesehen. Kein CEO, kein CFO spricht offen über diese Konstruktion. Stattdessen höre ich durchgängig: "Wir sind ausverkauft", "Die Nachfrage übersteigt das Angebot", "Wir stehen am Anfang einer Revolution".

Das mag alles stimmen. Aber die Frage, die niemand stellt: Wie viel von dieser "Nachfrage" ist durch die eigenen Investitionen finanziert?

Oracle setzt alles auf eine Karte

Oracle hat sich verpflichtet, für 300 Milliarden Dollar Rechenzentren speziell für OpenAI zu bauen. Das ist nicht irgendein Deal – das sind etwa zwei Drittel von Oracles geplanten Umsätzen der kommenden Jahre. Von einem einzigen Kunden.

Wenn du ein diversifiziertes Portfolio führst, weißt du: Nie mehr als 5 bis 10 Prozent in eine einzelne Position. Oracle macht genau das Gegenteil – auf Unternehmensebene.

Was passiert, wenn OpenAI in zwei Jahren feststellt, dass die Rechenzentren zu teuer sind? Wenn ein Konkurrent günstiger anbietet? Wenn die KI-Nachfrage doch nicht so explodiert wie erwartet?

Oracle hat dann ein massives Problem. Und mit Oracle alle, die auf diesen Deal gesetzt haben – von den Zulieferern über die Chip-Hersteller bis zu den Investoren.

AMD verschenkt Optionen – und bekommt Aufträge

Bei AMD läuft es etwas subtiler. OpenAI soll KI-Chips für bis zu 100 Milliarden Dollar kaufen. Im Gegenzug bekommt OpenAI Aktienoptionen zu einem Cent pro Aktie. Steigt der AMD-Kurs durch die Ankündigung des Deals – was ziemlich sicher passiert –, profitiert OpenAI sofort, ohne einen Chip gekauft zu haben.

Das ist geschicktes Verhandeln von OpenAI. Aber für AMD bedeutet es: Ein Teil des "Wachstums" ist vorfinanziert durch die eigene Aktiensubstanz. Wenn OpenAI die Optionen ausübt und verkauft, verwässert das die bestehenden Aktionäre.

Die Frage, die keiner stellen will

Hier der Punkt, der mich am meisten beschäftigt: Was passiert, wenn alle gleichzeitig feststellen, dass die KI-Monetarisierung nicht so schnell kommt wie erhofft?

Microsoft, Google, Amazon und Meta haben zusammen im letzten Jahr über 200 Milliarden Dollar in KI-Infrastruktur investiert. Die Produkte – Copilot, Bedrock, Bard, diverse Chat-Anwendungen – sind beeindruckend. Aber die Umsätze rechtfertigen diese Investitionen bisher nicht. Microsoft Copilot kostet 30 Dollar pro Nutzer und Monat, aber die Adoption ist schleppend. Unternehmen testen, aber kaufen noch nicht in der erwarteten Masse.

Das ist noch kein Alarmsignal. Neue Technologien brauchen Zeit. Aber wir reden hier von Investitionen, die so groß sind, dass sie nur funktionieren, wenn die Nachfrage tatsächlich exponentiell wächst. Linear reicht nicht.

Die drei Warnsignale, auf die du achten solltest

In den nächsten sechs bis zwölf Monaten werden wir sehen, ob die KI-Wette aufgeht. Drei Indikatoren solltest du dabei im Auge behalten, und zwar bevor die breite Öffentlichkeit davon spricht.

Erstens: Sinkende Kapitalausgaben-Guidance. Wenn Microsoft, Google oder Amazon ihre geplanten Investitionen nach unten korrigieren, ist das ein Frühwarnsignal. Aktuell erhöhen alle ihre Ausgaben – wenn dieser Trend kippt, kippt die gesamte Wette.

Zweitens: Das Wort "Optimization". In Earnings Calls ist das der elegante Begriff für "Wir geben weniger aus, weil die Nachfrage nicht stimmt". Wenn du "Optimization" häufiger hörst, wird es ernst. Aktuell höre ich "Investment" und "Skalierung". Das sollte so bleiben – für die Bullen.

Drittens: Nvidias Lagerbestände. Bisher verkauft Nvidia alles, was es produziert. Wenn die Lagerbestände steigen, bedeutet das: Die Nachfrage lässt nach. Das ist das klarste Signal, dass die Party vorbei sein könnte.

Gibt es Alternativen zu den großen Tech-Werten?

Du könntest jetzt argumentieren: "Dann verkaufe ich eben meine Tech-Positionen." Aber wohin mit dem Geld?

Die Wahrheit ist: Wenn die KI-Wette scheitert, betrifft das nicht nur Microsoft oder Nvidia. Es betrifft die gesamte Marktbewertung von Tech. Der S&P 500 wird zu etwa 30 Prozent von sieben Unternehmen getragen – alle tief in KI investiert. Wenn diese sieben korrigieren, korrigiert der gesamte Index.

Diversifikation bedeutet in diesem Szenario nicht nur verschiedene Tech-Aktien. Es bedeutet Sektoren, die von KI weniger abhängig sind – Energie, Gesundheit, Basiskonsumgüter, vielleicht auch internationale Märkte wie Europa oder Emerging Markets, die bei der KI-Euphorie nicht mitgemacht haben.

Die physischen Grenzen, über die niemand spricht

Es gibt noch ein weiteres Problem, das kaum jemand anspricht: Die geplanten Rechenzentren brauchen Strom, Flächen, Genehmigungen und Transformatoren. In den USA sind die Stromnetze bereits am Limit. Die geplanten KI-Rechenzentren würden so viel Energie verbrauchen wie ganze Bundesstaaten.

Selbst wenn das Geld da ist, selbst wenn die Nachfrage kommt – die Infrastruktur lässt diese Expansion möglicherweise gar nicht zu. Das ist keine finanzielle Frage, sondern eine physikalische.

Oracle hat kürzlich auf einer Konferenz erwähnt, dass Genehmigungsverfahren für neue Rechenzentren teilweise drei bis fünf Jahre dauern. Bis dahin könnten die KI-Modelle schon wieder effizienter sein und weniger Rechenleistung brauchen.

Was ich jetzt konkret täte

Verkaufen würde ich deswegen nicht. Die KI-Revolution ist real, die Technologie funktioniert, und die großen Tech-Konzerne haben die Finanzkraft, auch längere Durststrecken zu überstehen. Aber blind kaufen ist genauso falsch.

Drei Strategien, die jetzt Sinn machen:

Erstens, diversifiziere innerhalb von Tech. Microsoft und Google sind breiter aufgestellt als Nvidia oder Oracle. Wenn die KI-Investitionen sich nicht auszahlen, haben sie andere Geschäftsbereiche, die funktionieren. Nvidia ist fast ausschließlich von Chip-Nachfrage abhängig, Oracle zunehmend von KI-Cloud-Deals.

Zweitens, setze Stop-Loss-Marken. Wenn Nvidia beispielsweise unter die 200-Tage-Linie fällt und dort zwei Wochen bleibt, ist das ein technisches Verkaufssignal. Bei solchen Bewertungen gibt es keinen Grund, auf Erholung zu hoffen – lieber Gewinne sichern und später neu bewerten.

Drittens, baue Positionen außerhalb von Tech auf. Die nächsten Quartale könnten von Sektoren profitieren, die bei der KI-Rally außen vor blieben – Energie, Banken, Rohstoffe. Nicht weil ich Tech für überbewertet halte, sondern weil eine vernünftige Risikostreuung nicht bedeuten kann, dass 70 Prozent deines Portfolios an der KI-Wette hängen.

Das größte Risiko: Wenn alle gleichzeitig falsch liegen

Das gefährlichste Szenario ist nicht, dass einer von ihnen sich irrt. Das gefährlichste Szenario ist, dass alle gleichzeitig ihre Prognosen nach unten korrigieren müssen.

Dann haben wir folgende Kettenreaktion: OpenAI reduziert die Ausgaben. Oracle sitzt auf teuren Rechenzentren, die niemand mehr braucht. Nvidia hat Überkapazitäten. Microsoft schreibt Milliarden ab. Und AMD muss erklären, warum die erhofften Aufträge nicht kommen.

In diesem Szenario geht es nicht um Einzelaktien. Es geht um eine systematische Neubewertung dessen, was KI in den nächsten drei Jahren leisten kann.

Die nächsten 18 bis 24 Monate werden zeigen, ob die großen Tech-Konzerne richtig liegen mit ihrer Billionen-Wette – oder ob wir gerade die teuerste Fehlinvestition der Tech-Geschichte beobachten.

Disclaimer: Dieser Artikel stellt keine Anlageberatung dar. Investitionsentscheidungen liegen in deiner eigenen Verantwortung. Die Analyse basiert auf öffentlich zugänglichen Informationen und meiner persönlichen Einschätzung.